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AutorenbildChristoph Raethke

Folge 9: Das erste AoD Investment: Wo bitte ist hier die Disruption?!?

Foto von mentatdgt von Pexels


Jawohl, ich habe in ein ultra-langweiliges Geschäft investiert. Fahrzeugüberführungen – das ist einer dieser Mechanismen hinter der Fassade, etwas, das niemanden interessiert. Das Auto ist halt da, wo man es gemietet oder per App gebucht hat. Und es geht hier nicht einmal um autonomes Fahren – Movacar verlässt sich nach wie vor auf Menschen, nicht auf AI. Langweilig. Wenn man schon in Startups investiert, sollte man dann nicht etwas… etwas DISRUPTIVES finden?


Vielleicht fällt nur mir das auf, aber wenn sich ein Fremdwort in den letzten ein, zwei Jahren still und leise aus der Startup-Lingo herausgeschlichen hat, dann ist es die Disruption. Zu Beginn der Startup-Renaissance, in den frühen 10er Jahren, sprach man von nichts anderem. In jedem Digital-Workshop kam er, der Spruch vom „größten Zimmervermittler der Welt, dem kein Hotel gehört“ und dem „größten Taxiunternehmen der Welt, das kein Auto besitzt“. Und in der Welt der Design-Thinking-Vortänzer, der Agenturen, Blogger und Beratungen gibt es sie auch noch: die Warnung vor oder Aufforderung zur Disruption. In der Welt der Gründer und Investoren dagegen, meine ich, hat sich das geändert.


Vor ein paar Monaten war ich mit einigen Geschäftspartnern bei Sylvia Dudek, der Leiterin des Metro-Accelerators in Berlin. Sie präsentierte uns das Portfolio aus fünf Jahren Acceleration im Bereich Nahrungsmittel, Gastwirtschaft und Hotellerie, und einer meiner Kollegen merkte an, dass er da aber wenig Disruptives sehe. Sylvia antwortete mit einem prononcierten Augenrollen und entgegnete sinngemäß. „Kein Mensch sucht mehr nach Disruption! Wenn wir Startups finden, die uns helfen, die Ineffizienzen in unserem Geschäft zu beseitigen – dann haben wir gewonnen!“


Auch ich hatte vor Jahren das D-Wort öfter auf den Lippen. Das lag daran, dass in diesen ersten Jahren meine und aller Aufmerksamkeit so felsenfest auf dem Silicon Valley lag. Dort galt das Mantra, dass nur Disruption die berühmten „Unicorns“ schaffen könne, Startups mit einer Bewertung von einer Milliarde und mehr, und schon allein deswegen alles unterhalb des Komplett-auf-den-Kopf-Stellens einer Branche Kinderkram sei. Mittlerweile rede und handle ich anders, womit wir wieder bei Movacar sind. Ich glaube, dass die Gründer das Zeug haben, in ihrer Branche auch langfristig einiges auszurichten – aber bis dahin sind plus/minus 400 Millionen € für Fahrzeugüberführungen allein in Deutschland schon mal eine Ineffizienz, der zu begegnen sich lohnt.


Ein weiteres prägendes Erlebnis für mich war und ist, dass ich seit anderthalb Jahren „Entrepreneur in Residence“ bei der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik bin. Jedem, der leichtfertig über Inkompetenz/ Ewiggestrigkeit/ Schwanengesang der deutschen „Industrie-Dinosaurier“ daherredet, möchte ich die Besichtigungsfahrt über das Werksgelände in Ludwigshafen empfehlen – danach ist man nämlich erst einmal ganz still. Was von diesem Werk ausgeht, das kann man nicht anders sagen, ist eine stetige Weltveränderung, und sie ist von einem anderen Kaliber als das, was Uber und Airbnb bewirken. Ohne die Erzeugnisse und kontinuierlichen Erfindungen der BASF allein im Bereich der Bodendüngung wären wir alle nicht am Leben. Und es ist in diesem Umfeld, dass ich eine Generation von todlangweiligen und nicht im mindesten disruptiven Ideen heranwachsen sehe – die im Handumdrehen Ineffizienzen im zwei- und dreistelligen Millionenbereich aushebeln können. Bei den Teams des BASF-Inkubators „Chemovator“ geht es um Bots, die dem Online-Handel mit gefälschten Chemieprodukten das Handwerk legen, Apps, die die erstaunlichen Verwerfungen der Verpackungslogistik beseitigen oder Software, die AI-basiert die Regulierungs-Compliance von Industrieanlagen managt. Alles hinter den Kulissen, alles mit Problemgrößen im dreistelligen Millionenbereich – ich glaube, so geht’s.


Trotzdem ist die Disruption natürlich nicht tot. So lange sich Größenwahnsinnige wie Elon Musk die Kolonisierung des Mars, Düsenflugzeugs-Tempo in unterirdischen Röhren oder die Verschmelzung von Gehirn und Maschine nicht nur ausdenken, sondern einfach mal loslegen, wird sie Großes erreichen. Aber anders als in der ersten Euphorie postuliert, ist Disruption nicht das Normalnull und alles darunter ein Fehlschlag. Vor allem ist Disruption nicht planbar - sie hängt von hundert Voraussetzungen ab, die mit der Kernidee nicht direkt etwas zu tun haben und nicht replizierbar sind. Timing, riesiger Kapitaleinsatz, ein megalomanischer Gründer, was auch immer.


Wir dagegen brauchen „planbare“ unternehmerische Innovation. Auch die ist schwer genug zu finden, auch die ist nur (aber wenigstens!) teilweise zu planen, auch da muss vieles zusammenkommen, damit sich der Erfolg einstellt. Aber hier kann ein Ökosystem - und namentlich Business Angels - tatsächlich zum Erfolg beitragen, und deswegen freue ich mich auf weitere Gelegenheiten, in noch mehr hervorragende, non-disruptive Startups zu investieren.


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