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  • AutorenbildChristoph Raethke

Folge 15: Pivotieren vs Company Building


Schluss machen, erbarmungslos durchhalten oder pivotieren: In den letzten beiden Folgen von AoD sprachen wir darüber, was getan werden kann, wenn es nicht läuft. Jede Vorgehensweise verlangt Gründern, Investoren und Unterstützern viel ab, manchmal zu viel. Und wie wir wissen, unter anderem aus Büchern wie Ben Horowitz‘ vielgepriesenem „Hard thing about hard things“, verbergen sich selbst unter der Haube von erfolgreichen Startups eine Menge unangenehmer Entscheidungen. Das führte schon vor Jahren dazu, dass man sich in der Branche überlegte, ob es nicht einen besseren Deal geben kann. Die Vorteile eines Startups ohne die Schmerzen – geht das irgendwie?


Rückblickend waren es ausgerechnet die Samwer-Brüder, die darauf in den 2000ern eine Antwort gefunden hatten. Indem sie erfolgreiche Ideen aus den USA kopierten, wollten sie genau das: Erfolg, ohne viel ausprobieren und auf die harte Tour verifizieren zu müssen. Dass dabei die gesamte „Startup-Folklore“ von Kundenbefragung, mühsamer Team-Findung und datengetriebenem Pivotieren über Bord ging, war ihnen nicht nur egal, sondern sehr recht – nur die fachfremde Presse hat die Unternehmen der Samwers entsprechend je als „Startups“ bezeichnet. Anstelle dessen wurde ein neuer Begriff eingeführt: „Company Building“, mittlerweile generischer auch als „Venture Building“ bezeichnet. Die Motivation der Samwers war Profit- und Effizienzstreben: Wenn jemand anderes sich über harte Jahre voller Irrtümer, Rückschläge, negativer Kundenfeedbacks, Pivots und Cash Flow-Probleme endlich zum Erfolg vorgekämpft hatte – warum dann nicht einfach direkt am Erfolgsmoment ansetzen und ihn geplant reproduzieren und hochskalieren? Wie Unternehmen wie Zalando und HelloFresh zeigen, kann das sehr gut klappen. Allerdings geht zusammen mit der „Startup-Folklore“ bei solchen Unternehmen natürlich auch das Thema Business Angel-Beteiligung mit über Bord. Denn weil es bei ihnen keine Phase des vorsichtig Herumprobierens gibt, in der das Risiko hoch und entsprechend der Zugang zu risikoaversem Kapital klein ist, und es keine weitere Marktexpertise braucht, weil der Markt ja schon von dem kopierten US-Startup verifiziert wurde, sind sie von vorn herein Investitionsobjekte großer Fonds.


Nicht ganz so lange ist es her, dass versucht wird, diese Erfahrungen in die Konzernwelt zu übertragen. Zum Teil geht es auch da wieder um das schamlose Kopieren, Entschuldigung: die sorgfältige Analyse und Adaption erprobter Geschäftsmodelle in einem Konzernkontext. In anderen Fällen geht es darum, in einem Konzern selbst benötigte Produkte einfach anders zu aus der Taufe zu heben als bisher. Also zum Beispiel eine neue Art der Kunden-Rechnungsstellung oder des Kundenkredits zu entwickeln, aber nicht als neues Projekt in einer bestehenden Abteilung, sondern als neue GmbH mit einem für den Zweck eingestellten Führungsteam. So ein neues Team kann idealerweise ohne den Ballast der Konzern-Compliance und Prozesse loslegen und Startup-Tools einsetzen, um schnell und bis zu einem gewissen Grad unabhängig zu arbeiten.


Das hört sich sehr gut an und wird entsprechend mittlerweile als Standard-Beratungsprodukt von vielen Digitalberatungen verkauft. Böse Zungen sagen, Company Building sei vor allem der Nachfolger für das frühere Standardprodukt, den Corporate Accelerator, der sich mangels Resultaten heute nicht mehr so gut verkauft wie 2015 – aber von irgendetwas muss eine Beratung doch leben!


Ein Umstand, der in Verbindung zum Thema des aktuellen AoD-Podcasts passt, ist beiden Modellen zu eigen, nämlich, dass bei ihnen für Pivots kein Platz ist. Besonders beim Company Building soll ja mit Hilfe von Profis und Geld explizit eine Punktlandung gelingen, und das involvierte Personal ist auf das vordefinierte Ziel, und nur auf dieses Ziel, eingeschworen. Das ist, wie gesagt, der Versuch, die Vorteile der Startup-Methodik ohne die Nachteile zu bekommen. Wie gut das am Ende klappt, ist eine der Fragen, die meinem Eindruck nach niemand wirklich stellen möchte.



Ein prominenter Fehlschlag dieser Vorgehensweise war 2019 das Ende von Coup, dem in Berlin Mitte allgegenwärtigen E-Roller-Sharing-Unternehmen, das Bosch bei Boston Consulting in Auftrag gegeben hatte. Der Aspekt, den ich hervorheben will, ist, dass Coup offenbar keine Chance auf einen Pivot hatte. Und das, obwohl in zwei Jahren Betrieb und nach enormen Aufwendungen – Gerüchte sprechen von 15 Millionen Euro, aber das habe ich wirklich nur aus zweiter Hand – sicher eine Menge Kundendaten, Hard- und Software, Informationen über Verkehrsströme und Nutzerverhalten geschaffen worden waren. Aber die ursprünglich Beteiligten arbeiteten da schon längst wieder auf anderen Projekten.


Die Frage, die mich angesichts solcher Fälle beschäftigt, ist, inwieweit sich die Startup-Methodik von dem Ökosystem und der sehr spezifischen Einstellung, Motivation und Arbeitsweise von echten Gründern trennen und in andere Zusammenhänge transferieren lässt. Ein Teil meiner Arbeit besteht darin, darauf Antworten zu finden, denn ich will ja möglichst viele Menschen und Organisationen von diesen Arbeitsweisen profitieren lassen und bin immer wieder in Entrepreneurship-Programmen etablierter Firmen involviert. Und es ist zumindest überlegenswert, ob der Pivot etwas ist, das man eben NICHT über das Company Building „wegprofessionalisieren“ sollte.



Zum Pitchdeck von Lawio aus dem Podcast


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