In den letzten ein oder zwei Jahren ist das Startup-Modell von verschiedenen Seiten unter Beschuss geraten, und die Seite, die ich im neuen Podcast zum Thema mache, ist die wirtschaftliche – die Erlösseite. Das klassische Finanzierungs- und Erlösmodell der Branche ist jenes, das man sogar in der Populärkultur mittlerweile aus Serien wie „Silicon Valley“ kennt. Ein Team von Visionären/ Irren/ Ehrgeizlingen/ Genies, je nach Perspektive, erhält sechs- oder siebenstellige Summen aus der Hand von gierigen Kapitalisten/ großzügigen Philantrophen/ gewieften Kaufleuten/ brillanten Zukunftsdeutern, geht etwas später an die Börse und macht alle Beteiligten schwer reich.
Diesem Modell werden neuerdings unerwünschte Nebenwirkungen nachgesagt, vom Burnout der Mitarbeiter über Herdentrieb der Investoren bis zum zweifelhaften Nutzen bzw. realistischen Wert der derart finanzierten Unternehmen (WeWork!). Das nehmen Startup-Skeptiker zum Anlass, das ganze System zu hinterfragen und eine gute alte Zeit zu beschwören, in der dem ehrbaren Kaufmann Kredite oder Verbindlichkeiten ehrenrührig waren. Aber auch innerhalb der Szene bewegt sich etwas; 2019 widmeten zum Beispiel meine Freunde vom „Pirate Summit“, einer der größten und ältesten Startup-Konferenzen Deutschlands, ihr Event expliziert den Gründern, die ohne Risikokapital-Finanzierung groß werden. Ist angesichts dessen die Frage nach dem „Exit“, also dem Verkauf des Startups, der idealerweise Gründer und Investoren reich macht, überhaupt noch relevant?
Was viele in dieser Debatte übersehen, ist, dass es den Masterplan, die eine Vorgabe für das Wachstum eines Unternehmens, nie gegeben hat. Auf der Arbeitsebene sind sich nämlich Gründer schnell klar darüber, welcher Weg für sie der richtige ist und dass dieser Weg bei weitem nicht immer über das externe Investment führt. Ganz im Gegenteil ist es sogar auf Investorenseite ein tausendfach wiederholter Rat, als Gründer am besten gar kein Investment aufzunehmen. Wenn es eine Möglichkeit gibt, etwas Tolles zu bauen aus eigenen Mitteln, dann muss das immer die erste Wahl sein. Und wenn man Investoren aufnimmt, dann so spät wie möglich.
Allerdings kommt dieses Grundverständnis selten beim breiten Publikum an – was meiner Ansicht nach daran liegt, dass es meistens Startups in die Medienöffentlichkeit schaffen, die den Weg der Millioneninvestments nehmen. Große Summen sind etwas, das auch Opa Müller aufregend oder skandalös findet. Ganz vorne steht da das unablässige Medieninteresse an Rocket Internet, dessen Unternehmungen alle Klischees zu bedienen scheinen über mit Rieseninvestments aufgepumpte, selten innovative und generell amoralische Auswüchse des Kapitalismus, in denen es ausschließlich um den „Exit“ geht. Was die Medien sich aber traditionell weigern, mitzuerzählen, ist, dass es sich bei diesen Unternehmungen schlicht und einfach nicht um Startups handelt. Rocket Internet betreibt im Gegenteil das Modell der guten alten Zeit: Wie z.B. in einem Autokonzern werden Marktlücken identifiziert oder auch Modelle der Konkurrenz kopiert und sodann ein Berg Kapital und Menschen eingesetzt, um seinen Anteil an der Marktlücke zu bekommen. Wenn das profitabel läuft, wird verkauft oder an die Börse gegangen, und alle bekommen Geld.
Im Gegensatz dazu ist das Brot-und-Butter-Geschäft von 99% der Startups viel erdverbundener; der Prozess des Investorenansprache allein ist so langwierig und deprimierend, dass ihn niemand auf sich nimmt, der es vermeiden kann. Diese Story ist aber natürlich viel zu kleinteilig und konkret, um es in die Massenmedien zu schaffen.
Es gibt noch zwei weitere Gründe, warum das Thema „Exit“ unverändert essentiell ist. Der erste ist, dass nur der Verkauf eines Startups in der Lage ist, das Perpetuum Mobile in Gang zu halten, von dem die digitale Modernisierung der Wirtschaft lebt – nämlich den vermögend gewordenen Gründer oder Business Angel, der seinen Gewinn nutzt, um wiederum neue Gründer zu finanzieren. Dieser Zyklus ist nicht nur Privatvergnügen, sondern auch gesellschaftlich gewünscht, wie sich konkret in der Steuerpraxis zeigt: Wer sich die Erlöse aus einem Exit selber auszahlt, um einen Porsche zu kaufen, muss dem Finanzamt zunächst heftig Einkommensteuer überweisen, womit 30-40% des Geldes weg sind. Wer das Geld dagegen in einer Holding behält und daraus reinvestiert, muss nur um die 5% seiner Erlöse dem Staat überlassen.
Der zweite Grund ist, dass nur die Aussicht auf einen Exit die Schicksalsgemeinschaft zwischen Gründer und Umfeld – Investoren, aber auch über Mitarbeiterbeteiligungs-Programme angebundene Angestellte – stiftet, die einen der wichtigsten Erfolgsvorteile von Startups gegenüber Konzernen ausmacht. Das hört sich materialistisch an, aber kein Angestellter oder Berater, egal wie hoch sein Tagessatz, arbeitet derart unerschütterlich an dem Erfolg eines Unternehmens wie ein Anteilseigner. Ein Anteilseigner nimmt am Weihnachtsmorgen das Telefon ab und setzt sich Samstagabend zu einer Mentoring-Sitzung mit den Gründern zusammen.
Gleiches gilt für den Bereich „Impact und Soziales“. Ein geflügeltes Wort der Branche sagt, dass „Glaube an die gute Sache“ etwa ein Jahr lang das Fehlen von materieller Entlohnung ausgleichen kann. Bei Gründern etwas länger – aber für den Rest des Teams, das auch der charismatischste Gründer zur Implementierung seiner Pläne braucht, ist ein Jahr das Ende der Fahnenstange. Und dann braucht es entweder ein wettbewerbsfähiges Gehalt, oder die Aussicht, an einem Exit teilhaben zu können.
Die „Profitgier“, die linksromantische Kreise ständig hinter der Startup-Wirtschaft ausmachen, ist nämlich in dem meisten Fällen ein Wunsch nach Gerechtigkeit – nämlich nach einer gerechten Zusammenhang zwischen enormem Einsatz und Risiko auf der einen und der Chance auf angemessen enormen Erlös auf der anderen Seite.
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