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AutorenbildChristoph Raethke

Folge 5: Houston, wir haben (k)ein Problem.




Kein Bestandteil eines Startup-Pitches wird häufiger missverstanden als der eigentlich zentrale, nämlich die Beschreibung des Problems, das man lösen will. Dabei ist das adressierte Problem, auf Englisch gerne „Pain Point“ genannt, gleichzeitig derjenige, der von den Fachmedien, Blogs, Gurus und Beratern am meisten analysiert und in seiner Bedeutung hervorgehoben wird. Trotzdem behandeln meiner Wahrnehmung nach 80% aller Pitches, die ich höre und sehe, ihr zu lösendes Problem nur extrem oberflächlich. Gerade gestern bekam ich wieder eine Präsentation, die gleich mit der „Idee“ begann – einem Software-Plugin für Wordpress - und sich auch im Weiteren nicht auf die Angabe eines Problem einließ, trotzdem aber behauptete, auf Basis dessen bereits 200.000 € eingeworben zu haben. Was passiert da?


Meine Hypothese ist, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wann ein Problem ausreichend tragfähig - oder wenigstens ausreichend gut beschrieben - ist. Im dieswöchentlichen Podcast erwähnte ich das Team mit dem Blockchain-basierten Airbnb. In deren Präsentation stand in der Tat eine Problembeschreibung auf der ersten Folie, es fehlt also nicht an „Problembewusstsein“. Nur hat der dort analysierte Pain Point nichts mit den Kunden zu tun, sondern mit dem technischen Backend, das (vereinfacht gesagt) vor allem für Softwareentwickler interessant ist. Und so geht es meiner Hypothese nach oft: Das Team glaubt, alles richtig gemacht zu haben – aber der Investor urteilt: Thema verfehlt.


Im Podcast habe ich einige Punkte erwähnt, die den Investor misstrauisch machen sollten, wenn es um die Bewertung der Problem-Relevanz in einer Gründerpräsentation geht. Einen weiteren möchte ich noch anfügen, und zwar einen stilistischen. Wann immer in einer Problemdarstellung das Personalpronomen „wir“ vorkommt: Vorsicht! Denn dahinter befindet sich oft der Versuch, ein Problem mangels konkreter Daten zu generalisieren und zu vernebeln. „Wir“ – im Sinne von ich als Absender und du als Leser - „wissen, dass X nicht funktioniert“, „wir alle wünschen uns bessere Y“ „wir sind unzufrieden mit Z“: Damit wird so getan, als ob Absender und Adressat ohne weitere Erklärungsnotwendigkeit im selben Boot säßen. Und deswegen das Problem in seiner vorgeblichen Evidenz nicht tiefer erläutert werden müsste.


Erst gestern sah ich eine Präsentation, in der es um Weiterbildung im Digitalen Zeitalter ging und die erst einmal konstatierte, dass „wir“ auf den Digitalen Wandel schlecht vorbereitet seien und „wir“ deswegen neue Lernmethoden bräuchten. Solche Aussagen sind in ihrer Breite und Banalität wertlos und falsch; nach drei Sekunden Nachdenken fallen einem Berufsgruppen und individuelle Profile ein, auf die das nicht zutrifft, zum Beispiel mit hoher Wahrscheinlichkeit genau die Startup-Investoren, an die sich die Präsentation richtet. Ein Problem ist erst dann wirklich glaubhaft und vor allem überprüfbar, wenn das „wir“ ersetzt wurde durch Zielgruppen-Spezifika wie zum Beispiel „selbständige Handwerksmeister in Städten unter 100.000 Einwohnern“.


Mein gegenwärtiges Lieblingsbeispiel für den inhaltsbefreiten Theaterdonner, der entsteht, wenn man in den nebligen Höhen des „wir“ bleibt, ist die Propaganda der E-Scooter-Betreiber. Ich habe von ihnen noch nie ein konkretes Problemszenario gelesen – im Stile von „30% der Angestellten, die im Berliner Speckgürtel leben, aber in der Innenstadt arbeiten, scheitern mehrmals wöchentlich an der Bewältigung der Entfernung zum nächsten S-Bahnhof und verlieren dadurch X Euro/ Y Stunden Zeit.“ Oder gar: „20% aller Innenstadt-Autobesitzer über 40 würden gerne ihr Fahrzeug abschaffen, aber können es nicht, weil die 800m zum nächsten Supermarkt eine zu große Hürde darstellen“. Anstelle dessen geht es immer um höchste Abstraktionen: um „Stadtbewohner“ allgemein, oder um gänzlich ephemere Begriffe wie „Mobilität“. „Des Kaisers neue Kleider“ ist eine Geschichte, die nie alt wird.


Wenn man in diesem Spiel neu ist, sollte man einen Trick anwenden, den schon Kleinkinder beherrschen. Nämlich die unbarmherzig wiederholte Frage „Warum“, oder genauer: „Warum ist das ein Problem?“ Der Trick liegt in der Wiederholung, sich also nicht auf der ersten Ebene zufrieden zu geben.


Zum guten Schluss noch ein Wort über das Alternativmodell zum Problem – zu dem, was manchmal „Vitamin“ genannt wird, also die Schaffung eines Positiverlebnisses anstelle einer Problemlösung. Offensichtliche Beispiele dafür sind Spiele und Unterhaltungsinhalte. Wenn ein Gründer seine Idee als ein „Vitamin“ pitcht, sollte man bedenken, dass Vitamine dazu tendieren, weniger nachhaltig zu sein als Problemlösungen. Sie müssen also immer wieder aufgefrischt werden, was zum einen sehr viel Geld in Contententwicklung und Bewerbung kostet. Zum anderen, und das ist die Crux vor allem der Games-Industrie, ist es nahezu unmöglich, in diesem Bereich konsistent erfolgreich zu sein.



Zur Investoren-Präsentation von P1 Fuels aus dem Podcast

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